Friday, September 28, 2007




HINDUISM IN NEPAL (Satis Shroff, Freiburg)

Hinduismus ist das Ergebnis eines langwierigen Entwicklungsprozeßes. Hinduismus ist nicht nur eine Religion, sondern eine philosophische Weltanschauung und eine bestimmte Art zu leben. Hinduismus hat seinem Ursprung etwa 1000 v. Chr. Es war die Religion der nach Indien eingewanderten arischen Stämme. Diese arische Eroberung Indiens vollzog sich über viele Jahrhunderte. Im Verlauf der Zeit kam es zu einer allmählichen Verschmelzung der arischer Mythologie und Geisteswelt mit der der Einheimischen.

Naturverehrung ist bei den Hindus und Buddhisten Nepals und Indiens weitverbreitet. Hügel, Flüsse und Seen, Pflanzen und Bäume werden als Wohnsitz der Gottheiten, als günstig für Meditation betrachtet. Zahllose solcher Orte gibt es in Nepal, und ihre Heiligkeit wird täglich durch Rituale verstärkt. Als besonders heilig gelten Flußquellen und Einmündungen von Nebenflüssen. Sonnenstand und Mondphasen werden vergöttlicht, und den Gottheiten sind Tierinkarnationen zugeordnet. Der Unterschied zwischen Menschen und Tieren, belebter und unbelebter Natur wird als graduell und nicht wesensmäßig angesehen.

Die Quellen des früheren Hinduismus sind die Veden, eines der ersten literarischen Werke der Menschheit überhaupt. Die Veden1 sind in vier verschiedene Veda unterteilt:
1. Rigveda: Der Veda der Verse, das Wissen von den Lobeshymnen, der göttlichen Offenbarung.
2. Samaveda: Der Veda der Lieder, das Wissen von den Gesängen.
3. Yadshurveda: Der Veda der Opfersprüche, das Wissen von den Opferformeln.
4. Atharveda: Der Veda des Atharvan, das Wissen von den magischen Formeln.

Den vier Veden-Sammlungen folgen:
Brahmanas: Ritualistische Bücher in alter Sanskritprosa mit Erläuterungen über das Opfer; sie sind sehr wichtig für die Geschichte des Opferwesens.
Aranyakas: "Waldbücher", weil sie wegen ihres geheimnisvollen Inhalts in der Stille der Wälder gelernt und erwogen werden sollten.
Upanishads: Enthalten die in vertraulichen "Sitzungen" dem Schüler übermittelte Geheimlehren über Gott, Natur und Mensch. Das ist der Vedanta, der "Abschluß und Inbegriff des geschauten göttlichen Wissens". Diese spätvedische Literatur von riesigem Umfang enthält Bestandteile aus frühester Zeit und wuchs, bis sie um 500 v. Chr. einen gewissen Abschluß erlangste.

Die Bhagavadgita: Gehört zu der umfangreichen epischen Literatur, die aus den Epen Mahabharata und Ramayana besteht. Genauer gesagt ist sie ein Teil des Epos Mahabharata und umfaßt in dessen sechstem Buch (Parvan) die Kapitel 25 bis 42. Sie besteht also aus 18 Kapiteln (Gesängen), wie denn auch das ganze Epos 18 Bücher hat. Gerade das Mahabharata weist nun neben der eigentlichen Handlung zahlreiche Einschübe von Legenden, Episoden und didaktischen Stücken auf.

Die vedische Religion kannte keine Kultbilder. Im Zentrum stand das kultische Opfer, das ein außerordentlich kompliziertes Ritual hatte, das von Brahmanen ausgeführt wurde, die auch die Veden mündlich tradierten. Später wurde das kultische Opfer als zentrales religiöses Ereignis durch eine Puja2 ersetzt; die Verehrung der Bildnisse von Göttern.

Die Künste entstammen dem Ritual, das eine Mitte schafft, Energie bündelt, negative Kräfte austreibt und Übergangsriten feiert. Aus Beschwörungen entstehen Gesten, aus den Gesten das Opfergerät. Deren Form und Zusammenstellung schaffen das rituelle Kunstwerk. Die Ausrichtung des geweihten Raumes verlangt nach Tempel und Yantra, nach dem Mittelpunkt, dem abstrakten Symbol oder dem Bildwerk als Verkörperung göttlicher Kraft. Geopfert wird nur das Feinste und Reinste. Die Blüte der Morgendämmerung, ihr Duft, blutrotes Quecksilberoxyd, schneeweißer Kampfer, kühle Sandelpaste, Getreide und Kräuter der Jahreszeit, dem Zeitpunkt3 im zyklischen Leben der Gottheit entsprechend. Als Gegengabe bekommt der Gläubige prasad4 : eine Blüte, eine Farbmarkierung auf die Stirn und ein wenig von den Opfergaben (auch Süßigkeiten und amrit) , die dem Gott gereicht wurden.

Es wurde ein Trias der drei höchsten Götter aufgestellt, Brahma, Vishnu und Shiva5. Dabei erhielt Brahma die Funktion des absoluten Schöpfers des Universums, Vishnu die des Erhalters und Shiva die des Zerstörers zugewiesen. Die Dreieinigkeit Trimurti (Brahma, Vishnu und Shiva) des Hinduismus sind die Teile eines größeren Ganzen, für das die Hindus die heilige Silbe Om6 kennen und ihr als dem „höchsten Halt“ auch magische Kraft zusprechen. Die Relation des menschlichen Bewußtseins gegenüber dem göttlichen Prinzip im Universum wird auf diese Weise als Eingeständnis der menschlichen Unzulänglichkeit zum Ausdruck gebracht.

Nicht-arischen Ursprungs ist die Verehrung eines weiblichen Prinzips, des Shaktismus. Er entwickelte sich aus einem Kult um die "Große Mutter" und wurde dem Hinduismus beigefügt, indem jedem Gott eine weibliche Entsprechung assoziiert wurde, unter der Annahme, daß der Gott nur dann wirklich seine Kraft aktivieren könne, wenn er mit einer weiblichen Gottheit vereint sei. Die Muttergottheit wurde als Uma7 zur Frau Shivas (bzw. Rudra) gemacht, der als Umapati, als Herr Umas, bezeichnet wurde. Hinter dem Shaktismus steht die Samkhya-Philosophie, für die der große Gott als Purusha immer aktiv bleibt, während die große Göttin als Vertreterin des Prakriti-(Natur) Elements dynamische Aktivität besitzt. Im Volksglauben erscheint die große Muttergottheit vornehmlich als schrecklich. Wurden Tier- bzw. Menschenopfer dargebracht, so wurden diese niemals den Göttern, sondern immer der "Großen Mutter" dargebracht. Als Beispiel kann man Dakshinkali (Kali des Südens) nennen, die zu den beliebtesten Göttinnen des Katmandutales gehört. Sie wird heute noch mit einem blutigen Tieropfer verehrt.

Die Göttin Kali soll während der Schlacht gegen die Dämonen der Stirn Durgas entsprungen sein. Kali, die schreckliche Form der großen Göttin, erscheint als Zauberin, als Mutter, als Zerstörerin. Sie erweckt Erfurcht und Liebe. Sie ist von gräßlichen Symbolen umgeben, die jedoch doppelte Bedeutung haben.

Kali ( sfnL ) ist das Symbol der kosmischen Kraft der Zeit (kala sfn), und in dieser Hinsicht bedeutet sie Vernichtung. Der Tod trägt aber den Keim des Lebens in sich. Kali verkörpert Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung. Sie wird schwarz dargestellt, denn "„ie alle farben im Schwarz verschwinden, so vergehen auch alle Namen und Formen in Ihr"(Mahanirvana Tantra8). Im tantrischen Ritual ist sie mit Raum bekleidet (digambari). Nackt ist sie frei von allen Schleiern der Illusion. Ihr zersaustes Haar ist ein Vorhang des Todes, der das Leben mit Geheimnis umgibt. Der Kranz aus fünfzig Schädeln, die für die fünfzig Buchstaben des Sanskritalphabets stehen, ist ein Symbol der Kraft des Wissens. Die Buchstaben sind keimhafte Klangschwingungen, die auf die Kraft der mantras verweisen. Sie trägt einen „Gürtel aus menschlichen Händen“, die auf die Wirkung des Karma, der angehäuften Taten, hindeuten und den Betrachter erinnern, daß die höchste Freiheit von seinem Handeln abhängt. Kalis drei Manifestationen herrschen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ihre weiße Zähne sind ein Sinnbild des Sattva9, der lichten Geistsubstanz, pressen die rote Zunge nieder, Sinnbild von Rajas, einer fest umrissenen Seinsebene, die hinunter führt zu Tamas, zur Trägheit. Kali hat vier Hände: eine linke hand hält einen abgetrennten Kopf, ein Hinweis auf die Zerstörung dunkler Kräfte, die andere das Schwert der Vernichtung, mit der sie das Verhaftetsein durchschneidet. Ihre beiden rechten Hände zerstreuen Furcht und mahnen zu spiritueller Stärke. Sie ist die grenzenlose Urkraft (adya-shakti), die den nichtmanifestierten, passiven Shiva zu ihren Füßen erweckt.

Die Samkhya Philosophie: 1. Natur 2. Geist 3. Seele: Nach der Samkhya-Schule gibt es ein doppeltes ewiges Sein, die Vielheit der Seelen und der Körper (Stoff). Die Samkhya-Philosophie hat einen Dualismus von Natur und Geist, und diese zwei gelten als anfangslos und ewig. Bestimmte Richtungen des Samkhya kommen somit ohne einen Gott aus. Die Seele ist erlöst, wenn sie ihre Verschiedenheit vom Körper erkennt. Die Seele umkleidet sich ja nur mit den einzelnen Körpern, ohne mit ihnen eins zu werden. Die Erkenntnis von der Geistigkeit der Seele befreit von der Verstrickung und bringt die Erlösung.

Andere Samkhya Richtungen amalgamieren sich dagegen mit dem Theismus bzw. Pantheismus (der die Welt zum Absoluten erhebt; das All wird Gott). Danach hat Gott zwei Naturen (Prakriti), eine niedere und eine höhere Natur:

Die niedere Natur besteht aus fünf Elementen: Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther, sowie aus feinmateriellen Faktoren: Geist, Bewußtsein und Individualisator. Die höhere Natur ist die Seele (Jiva). Nach der Samkhyavorstellung kann nur der Körper zerstört werden. Die Seele gilt für unzerstörbar, ewig, ungeboren, nicht verschwindend, alldurchdringend, nicht wandelnd, von alters her bestehend, nicht offenkundig, undenkbar und unwandelbar. Die Seele wechselt den Körper wie dieser die Kleider.

Theopanismus und Devotionalen Hinduismus: Man unterscheidet heute zwischen Pantheismus, der die Welt zum Absoluten erhebt – das All wird Gott -, und Theopanismus10, der umgekehrt aus dem ursprünglichen Geistig-Realen das Niedere hervorgehen läßt. Gott wird das All. In den alten Upanishads tritt sie klar zu Tage. Sie verkünden, oft in gehobener Sprache und in trefflichen Gleichnissen, daß das unpersönliche Sein (das Brahma), eins ist mit dem Atman, dem inneren geistigen Selbst des Menschen. Es entfaltet sich zur Welt. Die Erkenntnis der Einheit von Brahman und Atman bedeutet Erlösung und Glück.

Der kürzeste Weg zum Heil (Vereinigung mit Gott) ist durch Bhakti in devotionalen Hinduismus, die hingebungsvolle Liebe zu Gott durch Meditation. Dafür braucht man aber das rechte Wissen d.h. Jyana. Die Bhakti-Idee hat auf das hinduistische Geistesleben bis in die Gegenwart hinein den großten Einfluß ausgeübt. Sie ist sogar in den philosophisch völlig anders strukturierten älteren Buddhismus eingedrungen und hat ihn tiefgreifend verändert. Meditation und Abkehr von weltlichem Verlangen sind für die Vereinigung mit der Gottheit auch von Bedeutung.

Was verspricht Krishna denjenigen die ihm Bhakti entgegenbringen? Krishna verspricht seinen Anhängern Begreiung von Sündenlast, Kummerlosigkeit, Herzensfriede und Zugang zu ihm selbst (IX, 30-31.34). In XI.55 kann man die Quintessenz des ganzen Werkes sehen: Wer Krishna ehrt und liebt, der gelangt dereinst zu ihm.

Die Seele und die Seelenwanderung: Die Seele, von einem feinstofflichen Leib umgeben, wandert nach dem Tod in ein anderes Lebewesen, einen Gott, einen Menschen höherer oder niederer Kaste, ein Tier, eine Pflanze. Bestimmend ist das Karma, die Summe der guten und bösen Taten beim Abschluß des vergangenen Lebens, die sich dem feinstofflichen Leib eingeprägt und ihn zu einem entsprechenden neuen Dasein zwingt. Erst wenn kein Karma mehr übrig bleibt, erreicht der Kreislauf des Lebens (Sansara11) ein Ende in der Erlösung, dem Nirvana. Karma ist auch das Gesetz von Ursache und Wirkung. Die Seelenwanderung ist das Gemeingut der Hindus und hat seinen Ursprung in den urindischen animistischen Vorstellungen. Im übrigen glaubten auch die Christen bis zum Jahr 554 n. Chr. an die Wiedergeburt. Sie wurde durch einen hauchdünnen Mehrheitsbeschluß beim Akklamationskonzil zu Konstantinopel abgeschafft.

Der Körper ist der vorübergehende "Tempel der Seele" und wird nach dem Tod verbrannt. Die Hinterbliebenen helfen der Seele durch langwährende Rituale, zur Ruhe zu kommen. Für den Nepalesen ist die ersehnte Form des Hinübergleitens vom Leben zum Tode ein Sterben auf den Treppenstufen des Pashupatinath Tempels, während er die Füße in das heilige Wasser taucht.

Die Seele wird nicht geboren, noch stirbt sie.
Dies Selbst hat nicht einen Ursprung, ihm ist
nichts entsprungen. Geburtlos, beständig, ewig
und von altersher wird dies Selbst nicht getötet,
wenn der Körper getötet wird.

KATHA UPANISHAD

Die ganze Spanne des Menschenlebens ist von jeweils angemessene Ritualen begleitet. Kunstvolle Riten sind mit der Zeit vor der Geburt, mit dem Gebären, dem Heranwachsen, der Reifezeit, der Hochzeit und dem häuslichen Leben verknüpft, mit Rückzug und Entsagung, schließlich mit dem Tod. Auf jeder Stufe der Entwicklung werden häusliche Rituale vollzogen, bis sich der Körper wieder in seine Bestandteile auflöst. Der Tod ist nicht das Ende des Individuums, sondern ein neuer Anfang in einem dynamischen Prozeß. Nach der Bhagavadgita ist der Tod wie ein Ersetzen alter Kleider durch neue. Deshalb ist das Bestattungsritual antyeshti ein Übergangsritus. Das Individuum entsteht, entwickelt sich, verschwindet und wird wiedergeboren. Der Verlauf des nächsten Lebens wird vom gegenwärtigen bestimmt. Bis die Befreiung erreicht ist, beeinflußt das gesamte karmische Handeln die Struktur des zukünftigen Daseins. Der Tod ist daher nur eine „Zwischenstation“.

In der Katha Upanishad12 stellt der junge Nachiketas dem Todesgott Yama Fragen. Der antwortet ihm und sagt, daß der Atman, das wahre Selbst und ein Funke Brahmans, des universellen Selbst, beim Tod des Körpers niemals stirbt. Er ist zeitlos und endlos. Die Totenrituale verweisen auf die Einheit des Lebens, geben einen Ausblick auf die ewige Wirklichkeit, das Brahman. Leiden und Tod wie auch das Verglühen dessen, was einst einen Mensch beherbergte, sind in Nepal ins tägliche Leben miteinbezogen.

Die Kastengesetze stellen Schranken zwischen die Lebenden, der Tod reißt sie nicht nieder. Die erste in der steinernen Reihe der Plattform längs des Bagmatiflußes ist für die Kremation von Mitgliedern des Königshauses bestimmt, die zweite einst für Maharajas, heute für die höchsten Würdenträger des Staates. Dann folgen in respektvollem Abstand die Verbrennungsplätze der übrigen Kasten.

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